Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir schon einen Schritt weiter!
(Erfahrungsbericht)

Hubert Feyrer, 1995

Anfang der neunziger Jahre standen viele Hardware- und Software-Hersteller infolge der wirtschaftlichen Situation vor besagtem Abgrund, und Maßnahmen mußten ergriffen werden. Auch NeXT, die bis dahin ihre eigenen Rechner (auf Basis des Motorola 68040) herstellten und mit dem selbstentwickelten Betriebssystem "NextStep" versahen, mußten Entscheidungen treffen, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern.

Der nächste Schritt

Anstatt Hard- und Software zu produzieren entschied man sich, nur noch das Betriebssystem zu vertreiben. Dies jedoch nicht nur für die bis dato verkauften NeXT-Cubes und -Stations, sondern auch für bisher noch nicht unterstützte Plattformen. Man folgte damit dem allgemeinem Trend der Skalierbarkeit, indem man ein Betriebssystem anbot, daß gemäß den Ansprüchen des Kunden auf Rechnern fast jeder Leistungsklasse lief.

Heute läuft NextStep neben der ursprünglich unterstützten Motorola-Plattform auf Intel-basierenden PCs sowie auf Workstations mit HP- und SPARC-Prozessoren.

Architektur jetzt ...

Erleichtert wird die Portierung auf neue Plattformen maßgeblich durch den an der Carnegie Mellow University (CMU) entwickelteen Mach3-Microkernel. Läuft dieser erst auf einer neuen Plattform, so ist es ein Leichtes, mit Hilfe der von ihm zur Verfügung gestellten Mechanismen zur Speicherverwaltung, Prozeß- und Thread-Management und -Kommunikation die restlichen Teile zu portieren, siehe Abbildung 1.

Direkt aufsetzend auf dem Microkernel läuft mit 4.3BSD eine inzwischen etwas angegraute Version des Berkeley-Unix, das jedoch von Next um einige Features zum Management homogener Next-Netzwerke erweitert wurde (NetInfo).

Den krönenden Abschluß bildet die auf Display PostScript basierende grafische Benutzeroberfläche. Gerade diese Oberfläche setzte im Hinblick auf Benutzerfreundlichkeit und Bedienbarkeit Standards, die bei anderen Herstellen erst in letzter Zeit zu finden sind (OS/2 und Windows 95 lassen grüßen!).

Abbildung 1: Architektur NextStep

             +-------------------+
             |     NextStep      |
             +-------------------+
             |    4.3BSD Unix    |
             +-------------------+
             | Mach3 Microkernel |
             +-------------------+

... und in Zukunft

Momentan wird bei Next und Sun an einer Version der Oberfläche gearbeitet, die nicht auf Mach und 4.3BSD, sondern auf
Solaris basiert, siehe Abbildung 2. Vorteile dieser mit "OpenStep" betitelten Lösung wären eine ausgereifte Oberfläche auf einer mächtigen Betriebssystem als Unterbau. OpenStep soll dabei eine Alternative zum momentan von Sun mit Solaris ausgelieferten OpenWindows darstellen.

Abbildung 2: Architektur OpenStep

             +----------------+
             |    OpenStep    |
             +----------------+
             |                |
             |    Solaris     |
             |                |
             +----------------+

Installation von NextStep/SPARC

Nachdem NextStep seit kurzem auch für SPARC-basierende Rechner verfügbar ist wurde die Gelegenheit genutzt und eine SparcStation 5 im BT-Labor mit NextStep 3.3 versehen.

Die Installation stellte kein Problem dar. Nach dem Booten von CD-ROM mußte nur noch auswählt werden, welche der optionalen Packete installiert werden sollten und welche nicht. Installiert wurde alles, inkl. dem digitalen Webster und TeX.

Nachdem die Installationsroutine alle Dateien auf die Festplatte kopiert hatte, konnte neu gebootet werden. Anschließend waren noch anzugeben, daß die Treiber für die parallele und serielle Schnittstelle sowie das Floppy- und das SCSI-Bandlaufwerk ins Betriebssystem eingebunden werden sollen.

Einbindung ins lokale Sun-Netz

Da der Rechner nicht standalone genutzt werden sollte, sondern in das Sun-Netz im Raum 511 eingebunden werden sollte war als nächstes die Netzanbindung zu realisieren. Auch diese ging reibungslos von sich, und nach Eingabe von IP-Adresse, Netzmaske, Default-Router und YP-Domain konnte man mittels telnet, FTP, etc. auf jeden beliebigen Rechner zugreifen.

Mit Angabe des YP-Domains war dann auch schon der erste Schritt zur Nutzung der Benutzerdaten des Sun-Servers rfhs8012 gemacht. Mit "ypcat passwd" konnte man sich die vorhandenen Kennungen - wie von Solaris gewohnt - anzeigen lassen. Lediglich die Einlogprozedur mußte durch einen zusätzlichen Eintrag in der lokalen Datei /etc/passwd davon überzeugt werden, auch die über YP bereitgestellten Kennungen zuzulassen.

Nachdem sich nun die Benutzer des Sun-Pools auf dem Next-Rechner anmelden konnten mußten noch zwei weitere Schritte unternommen werden, damit man auch wirklich Arbeiten konnte. Zum einen waren die Benutzerverzeichnisse via NFS vom Sun-Server zu mounten; Dies ging mit Hilfe des NFS-Managers relativ problemlos, man muß lediglich den Rechner anschließend neu booten (worauf man jedoch nirgends hingewiesen wurde).

Da NextStep jedoch - Oberfläche hin oder her - nach wie vor auf Unix basiert, war zum Einloggen noch eine tcsh unter /soft/local/bin nötig, die jedoch nicht vom Solaris-basierenden Sun-Server übernommen werden konnte. Versuche, die tcsh aus dem vorhandenen Quellcode zu übersetzen scheiterten kläglich, da dieser nichts von NextStep auf Sun-Rechnern wissen wollte: Abfragen der Art "ah, wir laufen unter NextStep, da kann dies schonmal keine Sun sein" und umgekehrt waren zu häufig, als daß man dies ohne weiteres anpassen konnte. Schließlich wurde jedoch doch noch eine bereits für SPARC compilierte Version der tcsh auf dem FTP-Server der TU München gefunden, und endlich konnte sich jeder, der eine Kennung im Sun-Pool 511 besaß einloggen und erhielt als Arbeitsverzeichnis das des Sun-Servers.

Um die Anbindung an die lokale Netzumgebung zu vervollständigen wurden noch die Anbindung an Novell Netware und den Laserdrucker realisiert, alles mit Hilfe der ausgefeilten Oberfläche einfach und ohne Handbuch-lesen zu bewerkstelligen.

Die ebenfalls vorhandene Entwicklungsumgebung wurde zwar installiert, jedoch bis dato zwecks Zeitmangel nicht weiter untersucht. Dies gilt auch für den Database-Modeler, der mitsamt Oracle-Anbindung im Umfang der Entwicklungsumgebung enthalten ist.

Arbeiten unter NextStep

Ist man unter Solaris zu sämtlichen Dateioperationen auf den Befehlszeileninterpreter (Shell) angewiesen (den Dateimanager verschmähen selbst eingefleischte Windows-User), so bietet der Workspace-Manager von NextStep hier schon einige sehr ausgefeilte Features; den hohen Ansprüchen eines verwöhnten Amiga-Benutzers vermag jedoch selbst er nicht ganz gerecht zu werden. Auf jeden Fall aber eine gute Alternative zur Shell!

Will man seine täglichen Routinearbeiten unter NextStep erledigen, so wird man eines gleich zu Anfang vermissen: Die auf DisplayPostScript basierende Oberfläche unterstützt keine X-Window-Protokoll, es ist dadurch nicht möglich, grafische Ausgaben von anderen Rechner umzuleiten. NextStep beinhaltet zwar ein Konzept zur Umleitung von Grafik- und Audiodaten, dieses ist jedoch nicht zu X kompatibel und nur in homogenen Next-Netzen einsetzbar. Im PD-Bereich existieren zwar X-Server für NextStep, sie sind jedoch (noch) nicht für SPARC-basierende Systeme vorhanden. Es bleibt zu hoffen, daß das auf Solaris basierende OpenStep hier einen Ausweg bietet.

Fazit

Als Entwicklungsplattform für grafische und oberflächenorientierte Anwendungen eignet sich NextStep hervorragend, geht es doch mit Interface-Builder und Database-Modeler bisher nicht gekannte Wege. Wer sich von jedoch NextStep ein Unix mit aufgepeppter Oberfläche erwartet wird etwas enttäuscht sein, da man von dem darunterliegenden Unix nicht mehr sonderlich viel merkt (wie's ja eigentlich bei einem Betriebssystem auch sein soll... :-).


(c) Copyright Hubert Feyrer (hubert.feyrer@rz.uni-regensburg.de), 210595